DOKUMENTATION ZUR VERANSTALTUNG AM 10.06.20: WOHNEN IN DER CORONA-KRISE

Die Corona Krise hat weitreichende wirtschaftliche und soziale Auswirkungen. Wegen Kurzarbeit oder dem vollständigen Verlust ihrer Arbeit werden Mietzahlungen für immer mehr Mieter*innen vielerorts zum finanziellen Risiko.

Aus diesem Anlass veranstaltete das Netzwerk Mieten und Wohnen am 10. Juni 2020 das digitale Meeting „Wohnen in der Corona-Krise“.

In einem ersten Input von Benjamin Raabe, RAV, wurde die Notwendigkeit eines verstärkten Kündigungsschutzes unterstrichen. Wegen der coronabedingten ökonomischen Schieflage von Mieter*innen bedarf es eines kurz- und langfristigen Schutzes, um die Menschen vor Wohnungsverlust zu schützen. Zwar gebe es Schutzvorschriften im BGB, jedoch seien diese in den letzten 20 Jahren durch die Zuständigkeit des BGH für das Mietrecht zulasten der Mieter*innen aufgeweicht worden. Insbesondere beschränkte der BGH die Heilung durch die Schonristzahlung auf die außerordentliche Kündigung.

Die Politik habe zwar reagiert und verfügt, dass den Menschen, die coronabedingt bis Ende Juni diesen Jahres keine oder nicht vollständig Miete zahlen können, nicht gekündigt werden kann. Die Mietschulden bleiben jedoch und müssen innerhalb von zwei Jahren bis zum 30.6.2022 ausgeglichen werden, sonst droht die Kündigung später. Ob sie diese bei der jetzt einsetzenden starken Rezession abtragen können, sei fraglich. Außerdem endet der Schutz Ende Juni 2020.

Als Reformvorschläge zur Verbesserung des Kündigungsschutzes bei Zahlungsverzug seien deshalb u.a. zu nennen: Heilung bei Schonfristzahlung der außerordentlichen und ordentlichen Kündigung; während der Pandemiezeit müssen Kündigungen wegen Zahlungsverzugs generell ausgeschlossen sein und dürfen nicht als Grundlage für eine spätere (nicht zu heilende) Wiederholungskündigung herangezogen werden. Weitere Informationen zu dem Input sind in der Präsentation zu finden.

Rainer Tietzsch, RA und Vorsitzender Berliner Mieterverein e.V., ging in einem zweiten Input u.a. den Möglichkeiten zur Begrenzung der Miethöhen nach und erörterte dabei auch die Zuständigkeiten von Bund und Ländern.

Ansatzpunkte für Änderungen im BGB zur Miethöhe seien bspw. krisenbedingt befristet die Möglichkeit zur allgemeinen Mieterhöhung auf die ortsübliche Vergleichsmiete komplett auszusetzen; Kappungsgrenze (§ 558 Abs. 3 Satz 1 BGB) krisenbedingt und bundesweit zu senken auf bspw. 1,5% im Jahr; Einführung eines Anspruches auf Mietstundung (ganz oder teilweise/ mit oder ohne Bedürfnisprüfung) bei Verzicht auf Verzugszinsen. Sie finden in den beiden Präsentationen (Teil 1Teil 2) weitere Informationen zum Input von Rainer Tietzsch.

Volker Gerloff (RA Volker Gerloff, Geschäftsführender Ausschussmitglied der Sozialrechtler*innen im DAV) und Frank Jäger (Tacheles e.V.) widmeten sich dem sozialrechtlichen Änderungsbedarf zur Übernahme von Zahlungsrückständen zur Vermeidung von Wohnungsverlust und Begrenzung von Mietschulden.

Volker Gerloff sprach von der restriktiven Umsetzung des Ermessens zur Mietschuldenübernahme durch das Jobcenter. Die Jobcenter und Rechtsprechung verlangen in der Praxis zumeist hohe Anforderungen zur Übernahme: Wohnungslosigkeit muss vielerorts unmittelbar bevorstehen, Räumungsklage muss ausgesprochen sein; einige verlangen sogar den Räumungstitel. Hingegen sei es Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, dass die Norm zur Mietschuldenübernahme im Sozialrecht nicht nur vor Wohnungslosigkeit schützen dürfe, sondern es sei Anspruch des Sozialrechtes, eine angemessene Wohnung zu sichern, wozu die (möglichst dauerhafte) Sicherung des sozialen Umfeldes zähle. Allerdings werde dies von der erwähnten fehlenden Möglichkeit zur Heilung einer ordentlichen Kündigung durch Schonfristzahlung konterkariert. Das LSG BaWü habe bestätigt, dass in diesem Fall Schulden nicht vom Jobcenter zu übernehmen seien, da die Heilung der ordentlichen Kündigung wegen der BGH-Rechtsprechung ohnehin nicht erreicht werden kann. Weitere Handlungserfordernisse aus Sicht von Volker Gerloff waren u.a. die Kodifizierung des Rechts auf Wohnen als soziales Grundrecht in der Verfassung. Hieraus könnte die Unantastbarkeit der Wohnung abgeleitet werden und damit verbunden, die Pflicht für Jobcenter, die Wohnung in jedem Fall zu sichern. Damit die Kommunen bei Festlegen der Angemessenheitsgrenzen bei den Kosten der Unterkunft nicht in einen Interessenkonflikt kommen, sollte der Bund die KdU vollständig finanzieren. Aus diesem Grund könnte auch geprüft werden, ob Hinzuverdienste aus einer Beschäftigung nicht vom Regelsatz (Finanzierung über Bund), sondern von den Kosten der Unterkunft abgezogen werden, um den Kostendruck bei den Kommunen zu reduzieren. Notwendig sei zudem die Erhöhung des Hartz IV-Regelsätze.

Als sozialrechtliche Änderungsbedürfnisse hob Frank Jäger u.a. die coronabedingte Aussetzung der laufenden Kostensenkungsverfahren bei bestehenden Grundsicherungsempfänger*innen in den KdU hervor. Zudem seien die bisherigen Regelungen im SGB II zur Deckelung der KdU bei nicht genehmigten Umzügen zu streichen. Frank Jäger betonte ebenso die Notwendigkeit, dass die KdU im SGB II vollständig und unabhängig von Corona vom Bund beglichen werden müssen, damit die Kommunen nicht - bedingt durch ihre Haushaltslage - an der Höhe der Angemessenheitsgrenzen sparen. Es brauche zudem gesetzliche Vorgaben zur Festlegung der Angemessenheitsgrenzen (sog. Schlüssiges Konzept) und die Grenzen seien regelmäßig und verbindlich durch die Fachaufsicht zu prüfen. Weiterhin brauche es konkrete ermessenslenkende Vorschriften zur Mietschuldenübernahme, um den Zugang zu diesem Instrument zu erleichtern.